Sozialer Rückzug und massive Beeinträchtigung der Lebensqualität sind oft die traurigen Folgen von Harninkontinenz. Viele Patienten trauen sich mit unkontrollierbarem Harnabgang nicht mehr unter Menschen, und auch beim Arzt ist das Thema unangenehm. Dabei lassen sich die Beschwerden beim Wasserlösen in vielen Fällen mit einem Beckenbodentrainingsgerät lindern, denn der Beckenboden spielt bei vielen Formen der Blasenschwäche eine wichtige Rolle.
Was versteht man unter Harninkontinenz?
Als Harninkontinenz definiert man das Unvermögen, Ort und Zeit des Urinabganges zu kontrollieren. Was uns von Kindesbeinen an selbstverständlich erscheint fällt im Alter und bei diversen Krankheiten zusehends schwerer oder wird unmöglich. Dabei reichen die Formen der Blasenschwäche von einem leichten Tröpfeln bei körperlicher Belastung oder Niesen bis zum vollständigen Verlust über die Kontrolle des Schliessmuskels.
Wie häufig ist Blasenschwäche?
Vorherrschende Ursache von Harninkontinenz sind altersbedingte Veränderungen der Beckenbodenmuskulatur und des Urogenitaltraktes. Bei Frauen steigt der Anteil mit Alter und Zahl der Geburten, der Durchschnitt liegt bei 6-10 Prozent. Ältere Männer leiden oft an Prostatavergrösserung (benigne Prostatahyperplasie, BPH): Tritt die Harninkontinenz bei den 45-65-Jährigen noch zu 11 Prozent auf, sind es bei den über 80-Jährigen bereits 32 Prozent.
Welche Formen von Harninkontinenz gibt es?
Mediziner unterscheiden abhängig von Beschwerden und Ursachen mehrere Arten der Harninkontinenz. Die wichtigsten davon werden nachfolgend erläutert.
Belastungsinkontinenz (Stressinkontinenz)
Belastungsinkontinenz tritt bereits bei der geringsten körperlichen Anstrengung auf: Laufen, Heben, Niesen, Husten, Lachen. Unter dieser Form der Harninkontinenz leiden Männer und Frauen gleichermassen. Bei ersteren sind vor allem Prostatavergrösserung und Prostataoperationen ursächlich, Frauen leiden häufig nach der Strapaze von Geburten und hormonellen Umstellungen nach der Menopause an geschwächter Beckenbodenmuskulatur. Der überholte und unzutreffende Begriff Stressinkontinenz wird in Fachkreisen kaum noch verwendet.
Dranginkontinenz
Achtung Überfall! Wenn Sie von jetzt auf gleich plötzlich einen unbändigen Harndrang verspüren, nennt man das Dranginkontinenz. Blasenentzündungen sind bei Frauen der geläufigste Grund, zumal diese dank der kurzen Harnröhre besonders häufig auftreten. In beiden Geschlechtern können auch instabile Blasenmuskulatur, neurologische Erkrankungen oder Blasentumoren für eine Dranginkontinenz verantwortlich sein.
Mischinkontinenz
Von Mischinkontinenz spricht man, wenn eine Kombination aus Dranginkontinenz und Belastungsinkontinenz vorliegt. Man findet sie besonders häufig bei Männern nach Prostata-OP, die an Harnröhre und Schliessmuskel nicht folgenlos vorübergeht. Wie bei der reinen Dranginkontinenz ist eine diagnostische Abklärung der Ursache unbedingt erforderlich.
Überlaufinkontinenz
Bei Überlaufkontinenz geht bei voller Blase automatisch Urin ab, ohne dass der Patient Einfluss darauf hat. Die häufigsten Ursachen sind eine schwache Blasen- oder Beckenbodenmuskulatur oder eine Blockade der Harnröhre. Hierfür kommt bei älteren Männern vor allem die Prostatavergrösserung in Frage. Ansonsten beeinträchtigen Nervenschäden infolge Diabetes die Muskulatur oder blockieren Tumoren, Verengungen (Strikturen) und Blasensteine die ableitenden Harnwege.
Extraurethrale Inkontinenz
Extraurethral bedeutet ausserhalb der Harnröhre (Urethra), extraurethrale Inkontinenz, dass der Urin über unvorhergesehene Wege abfliesst. Zu den Ursachen gehören angeborene Defekte von Harnröhre oder Harnleiter, die sich bereits im Kindesalter manifestieren, oder sekundäre Schäden, etwa durch die Bildung von Fisteln zwischen Blase oder Harnleiter und Darm oder Scheide. Solche Umwege lassen sich nur durch eine Operation korrigieren, Beckenbodentraining kann lediglich die Reha unterstützen.
Reflexinkontinenz
Bei der Reflexinkontinenz lösen Nervenimpulse eine reflexartige Entleerung der Harnblase aus. Kontrollieren kann der Patient diesen Vorgang nicht, oft ist ihm noch nicht einmal Harndrang bewusst. Die Verletzung der beteiligten Nervenbahnen liegt im Rückenmark (spinale Reflexinkontinenz; Spina = Rückenmark) oder im Gehirn (supraspinale Reflexinkontinenz; supraspinal = oberhalb des Rückenmarks). Häufigste Ursachen für spinale Reflexinkontinenz sind Rückenmarksverletzungen, Querschnittslähmung und Multiple Sklerose, für supraspinale Reflexinkontinenz Demenz, Parkinson und Schlaganfall. Beckenbodentraining stösst hier an seine Grenzen; stattdessen kommen ein Dauerkatheter oder Blasenschrittmacher zum Einsatz.
Wie kann Beckenbodentraining bei Harninkontinenz helfen?
Bewährt hat sich Beckenbodentraining bei den häufigsten Formen einer Harninkontinenz: Belastungsinkontinenz, Stressinkontinenz und ihren Mischformen. Diese machen über 90 Prozent der Fälle von Blasenschwäche aus. Ein spezielles Beckenbodentrainingsgerät erleichtert die täglichen Übungen.
Als besonders innovativ gelten moderne Beckenbodentrainer wie das PelvicTool von Alonea. Setzen Sie sich in normaler Sportbekleidung auf das Gerät und verfolgen Sie mit der zugehörigen App Ihr Training an Handy oder Tablet. Die hochempfindlichen Sensoren zeigen, welche Muskeln Sie gerade anspannen – besser lässt sich der Übungserfolg nicht visualisieren. Endlich wieder müssen können, wenn man das tatsächlich will sichert ein grosses Stück Lebensqualität.
Quellen, Links und weiterführende Literatur
- Deutsche Inkontinenz Gesellschaft: Infobroschüre Harn- und Stuhlinkontinenz.
- Aoki Y, Brown HW, Brubaker L, Cornu JN, Daly JO, Cartwright R. Urinary incontinence in women. Nat Rev Dis Primers. 2017 Jul 6;3:17042. doi: 10.1038/nrdp.2017.42. Erratum in: Nat Rev Dis Primers. 2017 Nov 16;3:17097. PMID: 28681849; PMCID: PMC5878864.
- Kozomara-Hocke M, Hermanns T, Poyet C. Urininkontinenz beim Mann–ein Tabuthema[Male Urinary Incontinence–a Taboo Issue]. Praxis (Bern 1994). 2016 Mar 2;105(5):269-77. German. doi: 10.1024/1661-8157/a002297. PMID: 26934011.
- Irwin GM. Urinary Incontinence. Prim Care. 2019 Jun;46(2):233-242. doi: 10.1016/j.p